24.11.2010

Dr. Jekyll- Mr. Hyde

Wenn man mit dem Rad um Mitternacht nach einem Kinobesuch durch die Stadt zurück ins Studentenheim fährt und von betrunkenen, gröhlenden Norwegern angemacht wird, beginnt man die Stadt zu hassen. Weils kalt ist und der Wind geht und man eine halbe Stunde mitm Radl fahren muss und dann sind auch noch diese bescheuerten Norweger, die einem furchtbar am Nerv gehen, weil sie einfach kein Benehmen haben. In Österreich ist ja das ganz anders. Da fällt niemand vor lauter Rausch aus einem Lokal, niemand gröhlt wie ein Geisteskranker irgendwelche Sauflieder und schon gar niemand stänkernd radelnde Studenten an. Nein. So etwas passiert nur hier in Kristiansand.
Und dann gibts auch noch diese Wasserstoff Tanten, die offenbar auf das Angebot der Uni zurückgekommen sind, sich Solarienbesuche aus medizinischen Gründen verschreiben zu lassen. Die vertragen sowieso keinen harten Alkohol- die werden da total aggressiv und verpassen österreichischen StudentInnen (ja! Männlein und Weiblein!) zuerst ein blaues Auge und lassen die Opfer dann auch noch mit Handschellen von der Polizei abführen, indem sie behaupten sie wären geschlagen worden. Das Ganze nur, weil die Österreicherin auf ihrem gepachteten Platz am Tisch getanzt hat. In Österreich kann man Tische nur reservieren, wenn man sich dann ZU Tisch begibt um dort zu essen. Aber vielleicht sollten wir mal einen Tisch pachten um DARAUF zu tanzen. Jedenfalls mögen betrunkene Norwegerinnen keine anderen Frauen, weil die ja Jagdkonkurrentinnen sind. Eine Promillegrenze für Jägerinnen an einem Donnerstag Abend in der hiesigen Sportbar scheint es nicht zu geben. Erlegt wird alles, was einen Penis hat. Eigentlich gibts eine Promillegrenze nur für ausländische StudentInnen, die gerade erst zur Türe rein sind und sich ein Bier gekauft haben. Ein Bier reicht auch- da kann man die Herrschaften gleich wieder ins Freie befördern. Vertragen ja sowieso nix, die blöden Deutschen und die dämlichen Schweizer.
Macht doch ein nettes Bild von jungen NorwegerInnen, oder? Betrunken, hochgradig aggressiv, ausländerfeindlich. Klingt wie ein FPÖ Parteitreffen im Müllnerbräu.

Aber- dann gibt es jene Tage, an denen man Mr. Hyde sagt, er soll verschwinden und auf wundersame Weise Dr. Jekyll erscheint- so geschehen am vergangenen Sonntag. Dr. Jekyll ist in diesem Fall Brandon, ein in Norwegen lebender Amerikaner, der uns zum Thanksgiving Dinner eingeladen hat.
Die Speisekarte- unglaublich! Von mashed potatoes über sweet mashed potatoes zu Maissalat, gemischtem Salat, cranberry sauce, stuffing (Fülle) zum echten toten, amerikanischen Trutenputen- kurz "Turkey" genannt. Als Nachspeise: verschiedene Eissorten mit noch warmen Brownies dazu. Und Rotwein. Viel, leckerer Rotwein! Was soll ich sagen! Ein Festmahl! Das Beste, das ich in Norwegen jemals gegessen habe!
Alles von Brandon mit ein bißchen Hilfe seiner norwegischen StudienkollegInnen selbst gemacht. Sieben Stunden sind sie in der Küche gestanden und es war das beste Thanksgiving Dinner, das ich jemals hatte. Dass es mein erstes war, tut hier nichts zur Sache. Junge NorwegerInnen in der viel zu kleinen Küche, die lustig und gesprächig sind. Nach fünf Minuten finde ich sofort ein gemeinsames Gesprächsthema: Die Heldentaten von Kjetil Andre-Aamodt und Lasse Kjus. Also nicht nur Fußball, sondern auch Skifahren verbindet. Irgendwie... Und Verdauungszigaretten, die man nach zwei Tellern mit turkey, salad, stuff, cranberry sauce, mashed potatoes und vier Gläsern Wein raucht, verbinden auch. Da erfährt man, dass Menschen aus dem Norden (meine Verdauungszigarettenfreundin aus Tromsö) nicht sooo gern im Süden (Kristiansand) sind, weil hier alle Snobs wohnen. Die glauben nämlich, sie könnten sich alles erlauben, so die nette Tromsöeranerin (?!?). Ich finde, sie ist toll!


Wenn ich mich also entscheiden müsste, ob ich den helleren, warmen Süden mit vielen Mr.Hydes nehme, oder den finsteren, kälteren Norden mit den netten Dr. Jekylls- dann würde ich Salzburg nehmen. Weil da ist's nicht so weit heim zu meiner Mama.

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